Selbsterkenntnis und Eigensinn


Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü


7.11 Niederes Selbst

7 Wo und was ist Ich?


Seit dem Fall der Engel umgab sich das
Höhere Selbst in einem langsamen Prozeß, schrittweise, mit verschiedenen Schichten. Die Seele will in ihrer harmonikalen Wellenexistenz dennoch die ganze Fülle von Existenz erfahren. Doch das geht nur in der Dualität von Körper. Darin kann sie in vielen Inkarnationen lernen, die Spannbreite vom "Heiligen" bis zum "Mörder" zu erleben. Kein besser oder schlechter, sondern erfahren die Selbstverantwortung als Mörder in der Abwesenheit von Liebe wie auch die Selbstverantwortung als Heiliger in der Fülle der Liebe.

So entstand das
Niedere Selbst. Aus den Anfängen der Vorzeit erzählt uns die Mythologie darüber. Diese Schichten sind aus feinster Materie, obwohl wir sie mit unserem physischen Auge nicht sehen können; aber sie sind unendlich viel dichter als das Höhere Selbst, jedoch nicht so dicht wie die des physischen Leibes.

Das
Niedere Selbst wird auch heute von mir weiter gebildet. Zusätzlich, denn nun habe ich mal inkarniert, so tue ich das mit allen Haken und Ösen, die mir Terra bietet, und mit allen Konsequenzen. Deshalb mache ich, als geistiger Körper, dieselbe Entwicklung wie "ich" als physischer Körper. An manchen Stellen werde ich schwielig. Manche Partien sind muskulöser als andere. Der geistige Blutkreislauf hat sich eingerichtet auf die Kompensation der geistigen Schwerkraft, denn ich bin auf Terra inkarniert, dem Platz, wo ich als Mensch die Dualität und Polarität finde.

Dieses Selbst ändert im ständigen Austausch mit der Umwelt die Strukturen, indem es sich und die Umwelt anpaßt auf ein Optimum zwischen höchst widersprüchlichen und wechselnden Bedingungen. Und das meistens alles, ohne daß ich es bewußt mitkriege. Das
Niedere Selbst wird weitergebildet, denn letztlich geht es um das Hin zu immer komplexerer Ordnung. Der Tropfen will zum Meer, von wo er als Dunst einstmals aufstieg.

Das
Niedere Selbst hinter seiner Maske ist der schöpferische Kern der dunklen Seite, der negativen Einstellungen und Gefühle, die entstehen aus meiner egozentrischen, eigensinnigen Getrenntheit von der Totalität des Lebens. Es ist die Abwehr gegen unseren Schmerz, ist unsere Gefühlslähmung und ist unsere angstvolle Abkopplung von uns selbst und anderen. Angst ist kontrahierende Energie.

Das
Niedere Selbst ist zusätzlich eine geniale Leistung der Überlebenstechnik und ein nützlicher Teil meines Lernprozesses. All das Entsetzen, die Angst und die Wut, aber auch alles ungelachte Lachen, die ich in den ersten Stunden und Jahren meines Hierseins ganz neu und leibhaftig erlebe, mußte ich wegstecken. Freud nennt das 'Abwehrmechanismen entwickeln'. Da wenig Platz ist in dem Rahmen unserer gesellschaftlichen Regeln, die emotionalen Spannungen aus meinem Schmerz durch Weinen, aus meiner Angst durch Zittern, aus meiner Wut durch Toben sowie aus allem diesen durch Lachen körperlich zu entlasten[1], lagere ich die Überspannung irgendwo im Organismus dauerhaft ein: Ich baue mir den 'Charakterpanzer', wie Wilhelm Reich, der Entdecker des Orgon und der Psychotherapie mittels des Körpers, das nannte.

Und künftig wird die Selbstheilungskraft meines Organismus mich immer wieder in Situationen führen, wo ich auf die Ähnlichkeiten mit Altem abfahre und von neuem versuchen kann, die Gedanken über die alte Verletzung endlich zu heilen. Vielfalt, sich selbst im Gegenüber erkennend. Grundsätzliche Richtung: Hin zur AllEinheit. Das Ziel spiritueller Entwicklung ist es, das
Niedere Selbst aufzulösen, damit schließlich das Höhere Selbst von all diesen erworbenen Schichten frei wird, in der AllEinheit ungetrennt aufgeht. Der Tropfen will zum Meer.

Im Alltag können wir bei uns selber oder anderen leicht fühlen, daß bestimmte Teile des
Höheren Selbst frei und andere noch vom Niederen Selbst verdeckt sind. Wieviel frei ist, wieviel versteckt, wie stark es manchmal abgeschirmt ist, hängt von der gesamten Entwicklung des jeweiligen Menschen ab.

Das
Niedere Selbst besteht nicht nur aus den persönlichen Irrtümern und Schwächen, sondern auch aus Nicht-wahrhaben-wollen, aus Trägheit und aus dem Dreierpack Angst, Stolz, Eigensinn. Sich zu ändern und zu überwinden, ist dem Niederen Selbst verhaßt, denn das macht ihm Angst. Es hat einen sehr starken Willen, den es gut verstecken kann. Es will seinen Weg gehen, ohne den Preis zu zahlen. Es ist sehr stolz und selbstsüchtig; es hat immer sehr viel persönliche, eigensinnige Eitelkeit. Es ist das Ego, mein 'Ich Bin', mit dessen gesamtem äußeren Ausdruck. All diese Charakteristika sind Teile des Niederen Selbst, egal wie der individuelle Charakter jeder Person ist.

"Jeder tut zu jederzeit sein Bestes - ..." auch der Terrorist? Ich kann vieles in meinem Leben heute sehen, das getan zu haben ich dumm, peinlich, schlimm finde. Ich hab es getan. Vieles wurde mir angetan, das ich mal als dumm, schlimm, schrecklich empfand und manches noch so finde. Menschen tun schlimme Dinge, werden für schuldig befunden. Aus Freiem Willen, auch als in Dienst Genommene. Das Beste ist wohl meist nicht gut genug, denn es ist getrübt von Angst, Stolz und Eigensinn.

Das war für mich Erzogenen erstmal eine merkwürdige Vorstellung: Keine Fehler machen
können auf der Ebene von Selbstverantwortung: Wahrnehmen, Entscheiden, Handeln. Doch dann ist es zwingende Logik: Fehler gibt es nur aus der Sicht der Angelegenheiten der Anderen oder aus meiner Sicht auf mein Gestern oder Morgen oder aus meiner Spannung zwischen meiner Maske und meinem Höheren Selbst. Im Moment meines Entscheidens und Handelns tue ich mein Bestes - sonst täte ich etwas anderes[2].

Wie das
Ich bin kann ich auch diesen Gedanken untersuchen, z.B.: "Ich mache zu viele Fehler und werde meinen Job verlieren"

  • Ist es wahr? Hmm. Sicher, vieles deutet darauf hin. Oder einfach: Ja, stimmt, ich tue es. Oder: Alle sagen mir das, weil sie es glauben.
  • Kann ich beweisen, daß es wahr ist? Nein, das kann ich nicht, dazu sind mir zu wenige der Hintergründe bekannt. Und selbst wenn sie mir bekannt wären, wüßte ich nicht, ob ich sie richtig interpretiere.
  • Wie reagiere ich, wenn ich diesen Gedanken denke "Ich mache zu viele Fehler und werde meinen Job verlieren"? Ich bemerke, wie die Spannung in meinen Muskeln steigt und der Atem flach wird. Mit diesem Glauben bin ich traurig, fühle ich mich wie ein Fehler, fühle mich, als wenn ich keine Kontrolle habe über mich und die Qualität meiner Arbeit. Ich habe Angst vor Vorgesetzten, Polizisten, Prominenten. Ich muß ständig aufpassen.
  • Wer wäre ich ohne diesen Glaubenssatz "Ich mache zu viele Fehler und werde meinen Job verlieren"? Ein tiefer Atemzug löst die Spannung im Körper. Ich wäre gelassen; ich könnte tatsächliche Fehler erleben als falsche und korrigierbare Erwartungen, als unrealistische und korrigierbare Planung, als interessante Herausforderungen für neue Sichtweisen, könnte meine Qualitäten erkennen, ohne in diesen Perfektionswahn zu verfallen. Ich würde meine Dinge tun in Kraft, Liebe und Gelassenheit.
  • Gibt es einen streßfreien, friedvollen Grund, an diesem Glaubenssatz festzuhalten "Ich mache zu viele Fehler und werde meinen Job verlieren"? Ich sehe keinen Grund, der mir nicht mehr Streß machen würde und keinen, der mir Frieden brächte.
  • Wie könnte eine Umkehrung dieses Glaubenssatzes lauten? Und vielleicht noch eine? Ich mache noch nicht genug Fehler und werde meinen Job behalten. Ich freue mich auf meinen nächsten Fehler. Oder: Wie wäre es damit: Es ist für mich nicht möglich Fehler zu machen - Gott ist groß, Gott ist alles und sogar meine 'Fehler'. Und ich werde meinen Job behalten oder auch nicht; das ist eine andere Untersuchung: Ich könnte/ werde meinen Job verlieren: Ist das wahr? Was wäre das Schlimmste, was passieren könnte, wenn ich meinen Job verliere?


Der einzige Weg, wie es mir möglich wäre, Sinn in diese 'Fehler-machen-Gedanken' zu bringen, scheint mir in der Unterscheidung der drei Arten Angelegenheit zu liegen: meine, deine, Gottes (oder wie immer Du ES nennst) Angelegenheiten. Auf einer absoluten Ebene können wir keine Fehler machen, denn alles ist Gott, perfekt; das Alte Testament mit dem Urteil des Schöpfers "siehe, es war sehr gut" widerstreitet dem Unternehmen, die grundlegende Güte und Akzeptanz des Lebens von Bedingungen abhängig zu machen. Und auf einer relativen Ebene machen wir definitiv Fehler. Wir brauchen es, dafür aufmerksam zu sein und es ist befriedigend, weil wir uns so in unserem Tun zu vervollkommnen. Ich finde beide Sichtweisen sehr hilfreich, wenn ich sie ohne Schuldzuweisung und ohne Selbstmitleid einnehme. So sind beide Umkehrungen sinnvoll: "ich sollte Fehler machen (denn ich tue es ja dauernd und lerne dabei)" und "ich sollte keine Fehler machen (denn ich will weder mir noch anderen schaden)".

Natürlich kann ich mich geirrt haben. Einen Fehler gemacht zu haben, bedeutet ja nicht
"ich bin falsch". Der erkannte "Fehler" ist eine Chance zum Lernen, zur lustvollen Ausdehnung hin in neue Möglichkeiten. Das angstvolle Zusammenziehen führt zum "warum habe ich bloß ...!", "sollte ich denn ...?", "hätte ich doch...". Das ist Energievergeudung, sich ärgernd hin in unabänderliche Vergangenheit, sich sorgend hin in unwißbare Zukunft.

"Jeder tut zu jederzeit sein Bestes - unter Berücksichtigung der Informationen, die er hat, und der Regeln, die er zu deren Auswertung kennt. Und er verdient nicht, deswegen von irgendwem zurückgestoßen oder beschuldigt zu werden. Von niemand, auch nicht von sich selbst!" Gilt das auch dem Terroristen vom 11. September? Was ist mit mir und alle den anderen Terroristen vom 12. September[3]? Es ist so erleichternd zu wissen, "Du bist schuld!"[4]. Es macht manches einfacher, zu sagen "ich bin schuld". Oder könnten auch das nur Teile sein der kleinen Tröstungen, Teile der Schleier von Illusion, Maske im Versuch, das Leben zu überleben, zu meistern?

Bert Hellinger
[5] fand, daß "ein gutes Gewissen" zu haben bedeutet, sich im Einklang mit der Familienseele zu fühlen. Die Familie von Mafiosi tickt anders als die von Beamten. Jede hat ihre Tradition von Weltbild. Die Einzelnen hängen nicht nur ab von ihren Eltern und sind in vielfältiger Weise von ihnen beeinflußt und geprägt. Vielmehr können sie darüber hinaus in die Schicksale anderer Familienmitglieder verstrickt sein, ohne daß ihnen das bewußt wird - und das oft über mehrere Generationen hinweg. Daß, unwissentlich, wir aus erworbener Zugehörigkeit darüber hinaus in noch größere Zusammenhänge eingebunden sind, die uns unabhängig von unseren Wünschen und Ängsten in Dienst nehmen, wird ebenfalls durch das Familienaufstellen handgreiflich erfahrbar. Solche Erfahrung ist nichts 'Nachgedachtes', sondern sie entfaltet sich unmittelbar aus dem Einklang in der Situation. In der Stille. In meinem Herzen.

Das
Niedere Selbst, das ist auch meine unerlöste, existentielle Not und ihre Folgen, nämlich, wie ich trotzdem als anerkanntes Mitglied dieser Gesellschaft weiterleben kann. Ich versuche mich zu schützen, indem ich meine Wahrnehmungen durch viele Filter aus Wertungen und Urteilen drücke und zur Wahnnehmung verfestige. So konstruiere ich mir aus meinen zugelassenen Informationen mein Weltbild und verstecke mich hinter einer Maske.






Seitenanfang




Start | Jans-Blog | Zusammenfassung | Kontakt | Download | 1 Einleitung | 2 Glaubenssätze? | 3 Fragen und Antworten | 4 Wissen und Wahrheit? | 5 Absichten | 6 Wer und was bin ich? | 7 Wo und was ist Ich? | 8 Wer antwortet? | 9 Eigensinn | 10 Ein kleiner Ausflug in die Mythologie | 11 Was soll das alles? | 12 Reden - Nichtreden | 13 Anhang | Impressum | Kontakt | Sitemap


Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü