Selbsterkenntnis und Eigensinn


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4.4 Schreiben

4 Wissen und Wahrheit?


Die Bedeutungen der Wörter sind nicht nur in verschiedenen sozialen Zusammenhängen gelernte Vereinbarungen. Jeder Entwurf eines Satzes nimmt bereits seinen Erfolg im jeweiligen sozialen Zusammenhang und seine Gegenwirkung als Erwartung vorweg, um sich dann an der Diskrepanz zwischen beobachtetem Erfolg und der Erwartung weiter zu formen.

Welchen beobachtbaren Erfolg findet der Schreiber und in welchem sozialen Zusammenhang befindet er sich? Ich bemerke staunend, daß allein schon das Ausdrucken dieses Textes und ihn, dann als 'fertiges' Buch in der Hand haltend, zu lesen, mir sofort wieder eine Fülle von noch fehlenden und unbedingt wichtigen Sätzen bringt, wo ich doch erst gedruckt hatte, nachdem ich sicher war: es gibt nichts mehr zu ergänzen. "Die Sätze, die ich schreibe, sagen mir etwas, daß ich vorher nicht gewußt habe". Aber erst mußte ich sie schreiben und dann konnte ich sie lesen und dann höre ich, was ich vorher nicht gewußt habe. Um wie vieles stärker mag das für jeden Leser gelten! - Und wie wenig erfahre ich davon?

Die besonderen Bedeutungen entstehen vielfach erst im Moment des Schreibens in dem Spiel des Schreibers mit seinen Bildern, wie er sie in Worte faßt, sowie im Moment des Lesens in dem Spiel des Lesers, wie er sie auffaßt und in eigene Bilder überträgt. So gesehen erscheint es ziemlich tollkühn, sich zu äußern, erst recht sich schriftlich zu äußern. Doch, wunderbare Macht der Vereinbarungen, wunderbare Gewohnheit des Lernens, allein der deutsche Buchmarkt berichtet aus 2001 von 90.000 Büchern nur an Neuerscheinungen.

Der Schreiber malt mit seinen Worten seine Bilder aus seinem Bewußtsein. Jeder Satz fragt den Leser "Verstehst Du mich?". Der Leser malt seine Antwort als seine Bilder ins eigene Bewußtsein. Die Bilder des Schreibers zeugen von dessen Wahrnehmung. Legt der Leser dessen Bilder über seine ursprünglichen, hat der Schreiber ihn über-zeugt: Der Leser nimmt jetzt eine andere Wahrnehmung als wahr an.

Mir erscheint das wie diese neuen headset-Bildschirme, die man wie eine Brille aufsetzt. Mein Verstand ist der Schirm und sein Computer. Ich programmiere und manipuliere, was auf dem Schirm erscheint. Doch dahinter, jenseits des Schirms, das ahne ich manchmal, gibt es noch mehr, anderes, die "wirkliche" Wirklichkeit, das Leben, das sich kaum programmieren läßt. Meist halte ich das Geschehen auf dem Bildschirm für "wirklich", denn es wirkt ja auf mich. Das sind meine Konzepte von Leben. Ich kann mir von anderen kein Wissen übertragen lassen. Ich kann nur Daten zur Kenntnis nehmen, daraus die für mich relevanten Informationen filtern und die in den Kontext meines Wissens einbauen, mich überzeugen lassen. So ist jedes Konzept für jeden anders, auch wenn sie gleich klingen, weil wir dieselben Wörter dafür benutzen.

So kann es mir leicht geschehen, daß ich die Kratzer auf der Brille analysiere statt das Lebens dahinter, meine Welt. Für die Welt der Konzepte haben wir Vereinbarungen über die passenden Worte, und die haben für jeden unterschiedliche Bedeutungen im unterschiedlichen Gefüge seines Wissens und daraus macht er sein ganz persönliche Wahrnehmung.



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