Das bunte und vielfältige Leben

Hier schreibe ich über sehr Privates. Ich hoffe, die beschriebenen Situationen sind ausreichend anonymisiert, denn ich will niemand damit bloßstellen, verurteilen, gar wegen irgendwas beschuldigen, denn es gibt nichts zu beschuldigen. Nun, es könnte sein, ich stehe tatsächlich an der Schwelle des Todes – wenn ich mir Staistik zu eigen nähme. Aber hin oder Her, dort an der Schwelle wird es schnell weniger mit Nettigkeit. Nettigkeit ist die kleine Schwester der Lüge, warum sollte ich lügen, zumal ich schon als Kind gefunden habe, das lohnt nicht.

Ich will beschreiben, zuvörderst meine Missverständnisse, selbst wenn ich die manchmal nur beschreiben kann als das Tun Anderer, was dann wie mein Urteil klingen könnte. Denn mir scheint, es gibt eine Reihe von Menschen, die in ähnlichen Dingern stecken – es gibt nicht die Dinge, es sind unsere Urteile darüber, was uns beschwert. Ja, was mir früher physikalisch-philosophisches Theorem, „der aus den Axiomen logisch abgeleitete Satz“, erschien, wird immer mehr zur hautnah erlebten Wirklichkeit, nämlich dass die aus der Quantensuppe aufsteigende Realität der Möglichkeiten, die Alten nannten das z.B. die unwissbare Allheit Gottes, im Moment meiner Entscheidung, z.B. zu einer Meinung, gerinnt und zur Wirklichkeit wird, meiner Wirklichkeit – was ich als auf mich wirkend als die Wahrheit nehme. Und die ist unvereinbar mit Deiner oder irgendeiner anderen Wirklichkeit. Was uns verbindet ist Liebe – je nackter die Wirklichkeit wird, desto klarer die Liebe.

Ich hatte Besuch von einem lieben Menschen. Was hab ich erlebt und gelernt in/aus den fast 5 Tagen? 4 Tage war mehr oder weniger Streit. Doch bei Abfahrt des Gastes haben wir uns wie schon lange nicht mehr verbunden, in warmer Liebe verbunden gefühlt. Ich konnte all die Tage fast zu jeder Zeit sehen, dass seine, für mich gelegentlich unsäglichen Sprüche aus tiefem Herzen und tiefer Sorge kamen. Satz für Satz waren erkennbar eingebettet in die Traditionen, in die Wirklichkeit dieses Menschen – da gab es nichts Hohles oder Dummes. Dumm war nur, dass ich nicht all dieses Sprechen gestoppt habe, etwa: „Lass uns fest in den Armen halten und allen Schmerz aus Trennung rausweinen, alle Angst vor Sterben rauszittern, alle Wut aus der Endgültigkeit (stimmt das? Kann ich das beweisen?) von Trennung rausbrüllen, aber nicht darüber kluge Reden führen“. Diese klugen Reden sind nur Deine Meinung gegen meine Meinung, Deine Wirklichkeit gegen meine Wirklichkeit. Nur unsere Schmerz, Angst, Wut wären im Jetzt unsere gemeinsame Wirklichkeit. Meine Wirklichkeit besteht nur aus meinen in 80 Jahren Leben gesammelten Informationen und meinen Regeln zu deren Auswertung. In Deinem Leben hast Du ganz andere Informationen und Regeln gesammelt. Deine und meine sind daher wenig kompatibel. Es ist sinnlos, darüber zu streiten.

Meine Grundlagen amicativer Lebensweise, die 6 Sätze über den persönlichen Rahmen, diese Glaubenssätze 1. „Ich liebe mich so wie ich bin“, 2. „Jeder Mensch ist von Anfang an ein vollwertiger Mensch“, 3. „Nur ich bin für mich verantwortlich!“, 4. „Niemand muss etwas tun, dulden oder unterlassen“, 5. „Nichts und niemand steht über oder unter einem anderen“, 6. „Jeder tut zu jederzeit sein Bestes für sich – unter Berücksichtigung der Informationen, die er hat, und der Regeln, die er zu deren Auswertung kennt. Und er verdient nicht, deswegen von irgendwem zurückgestoßen oder beschuldigt zu werden. Von niemand, auch nicht von sich selbst!“, bekommen, man glaubt es kaum nach über 40 Jahren des darüber Nachsinnens, noch mehr Körper, werden immer konkreter mein wirkliches Leben, jetzt.

Extremsituationen erzeugen wohl besondere Zustände. Ein Beispiel: Es ist schon erstaunlich: Da haben findige Statistiker heraus gefunden, dass die prognostizierte Lebensverlängerung durch ausreichendes Sporttreiben etwa der Zeitspanne entspricht, die die Sportiven dafür aufwenden müssten. Die, angeblich, durch Sport ausgeschütteten Endorphine – die Glückshormone – habe ich noch nie in den Gesichtern von sportlerischen Menschen entdecken können, nur mehr oder weniger verkrampfte Gesichter und Körper. Ich gebe zu, mein Motto von Jugend auf „Sport ist Mord – Massensport ist Massenmord“ mag nicht zielführend sein, oder der spitzige Satz „Treibe keinen Sport und Du bleibst gesund“ – doch der hat zumindest bei mir nur bis ins 80. gehalten.

Ein anderes Beispiel: Vor langen Jahren, nach meinem Auszug aus dem damaligen Familienheim machte eine gemeinsame Freundin mit mir einen Gesprächstermin. Ich schenkte Tee ein und sie wollte mir allen Ernstes klar machen, dass es doch nur ein wenig von Anpassung bedürfe, damit die Familie zusammen bleiben kann und die armen Kinder nicht als Quasi-Halbwaisen in der Welt stehen – und viel wirtschaftlicher sei es auch ohne 2. Wohnsitz. In dem Stil fast eine Stunde. Ich habe ihr freundlich und aufmerksan, meist schweigend, zugehört. Dann bin ich aufgestanden, habe mich bedankt für die tiefen Einblicke in die Philosophie einer besonders kirchennahen katholischen Familie und gesagt, dass ich mir das Gespräch nicht länger gedacht habe. Sie war entsetzt über meine Rohheit und fehlende Fürsorglichkeit. Ideen darüber, was mit Kindern passiert, die zwischen 2 Menschen leben, die eigentlich weg wollen, sowas kam ihr nicht.

Ein Stück weit stecke ich vermutlich auch in einer Extremsituation mit der statistischen Prognose, bei Pankreas-Tumor beträgt die Lebenserwartung ab Termin der Diagnose 2 – 5 Monate‘ – davon ist einer nun fast rum. Bis jetzt leben ich und meine Liebste, zumindest soweit ich das bei ihr beobachten kann, im Vergleich zu den Wochen vor der Diagnose unverändert gut, zufrieden und stressfrei. Wir leben allerdings bewusster im Hier und Jetzt und lachen oder weinen, wenn es ansteht und mit wem, wohl wissend, dass Statistik eben nur Statistik ist, Korrelation und nicht reales Leben. Also wissen wir, dass wir nichts wissen, schon gar nicht, wann der Abflug in die andere Wirklichkeit ansteht, in 5 Wochen, 5 Monaten oder 5 Jahren. Jedenfalls steht er an und dass wissen wir, seit wir uns vor über einem Viertel-Jahrhundert kennen gelernt haben, denn ich bin fast ebensoviel älter als sie.

Einige sehr nahe Freunde und unser Umfeld haben wir informiert. Es ist sehr spannend, wie diese Menschen reagieren. Manche können endlich eine Horrorstory aus dem Hinterkopf abladen; so die Geschichte von der Frau, die ihrem Ehemann die Scheidung androht, wenn er nicht alles Erdenkliche an Stahl, Strahl und Chemo gegen seinen Pankreas-Krebs verlangt. Faszinierend die Duplizität – gestern in der Hamburger U-Bahn, wird meine Liebste unfreiwillige Zeugin eines Gesprächs von zwei Frauen über die Krebserkrankung des Mannes der Einen, wo die Eine sagt „ich hab ihm klargemacht, wenn er nicht alles dagegen tut, zieh ich aus – ich hab meine eigene Rente“.

Eine Krankenschwester, als ich nachts auf den Fluren der Station mir ein wenig die Beine vertrete, beglückwünscht mich zu meiner Entscheidung zum Sterbefasten; ihre Mutter sei elendiglich verreckt während der 2. Chemo. Überhaupt erstaunlich, wie fast jeder eine Pankreas-CA-Geschichte aus seinem Umfeld zu berichten hat; ich wusste gar nicht, wie verbreitet das ist.

Unsere Freunde erweisen sich alle als Geschenk. Manche schenken auch ganz konkret, der eine eine tägliche Packung Fern-Reiki, die andere machte wöchentliche Ostheopathie-Termine. Und sagt „ich tu das für mich!“. Für alle ist meine Sterbefasten-Entscheidung eben typisch Jans und völlig klar. Wenn ich dann darauf hinweise, dass ich ja nicht weiß, ob ich später, schmerzverzerrt auf der Matratze, dann schreie „Herr Doktor mach mir das weg, abschneiden, ausbrennen“, dann wollen sie kommen und mich zum ursprünglichen Plan unterstützen. Danke, Ihr alle!

Aber es gibt auch Freunde mit Geschenken, wo ich doch einiges an Reflektion benötigte, das Gute darin zu erkennen. Dieses Gute habe ich oben beschrieben. Kürzlich kam jemand für ein paar Tage. Bei der Gelegenheit kamen mir die beiden Geschichte oben, über die statistische Relation von Lebenszeitverlängerung zur dazu erforderlichen Anstrengung (z.B. an Zeit) sowie die von der früheren Freundin mit ihrem biss­chen Anpassung, in den Sinn.

Um länger zu leben, brauch ich doch bloß ein bisschen anders als in den 80 Jahren davor zu leben: voll vegan – für mich geschmackloses Gemüsezeugs essen. Ich werde nicht für einen Handel mit dem Universum um einiges an Mehr-Zeit mein Leben unfroh machen. Dieser Mediziner-Spruch, der Patient muss erstmal sein Leben umkrempeln und das fängt an mit strikter veganer Kost, ist verbreitet, ist bewährt, wirkt auf viele positiv – und ist für mich Ausdruck der tollen Placebo-Wirkung, auf der gute Behandlung basiert. Ich glaube allerdings, tatsächlich ist das Ausdruck von 2000 Jahren Christentum: die sündige Seele, denn Krankheit zeigt Sünde an, muss zuerst ins Fegefeuer, ins Purgatorium, danach erst kann es weiter zum Himmel der Heilung gehen.

Leider hab ich, etwas unachtsam für Alltagsdinge, wie ich, möglicherweise aus gegebenem Anlass, in letzter Zeit machmal bin, dann noch ein weiteres Fass aufgemacht, als ich beim Gang über den Wochemarkt köstliches frisches Sauerkraut fand und gleich noch das für mich Übliche ‚Alles-vom-Schwein‘ dazu kaufte, samt einem Beutel Buntes für den veganen Gast. Da war sie wieder, meine in der Familiengeschichte verbürgte Rohheit und fehlende Fürsorglichkeit: ich mach mir was schrecklich Ungesundes (Schweinernes auf die angegriffene Galle) und lass den kranken Gast allein mit einem Beutel rohen Gemüses.

Das mit dem Ungesunden könnte stimmen. Und. Die Seele spricht zum Körper „Sag Du’s ihm, auf mich hört er nicht“; in zweifacher Sicht, nämlich zum Schwein, und auch‚ „wenn du dir solche Gespräche reinziehst ohne sofort klare Kante dagegen zu setzen, dann hör ich auf, sowas zu verdauen“, heißt, der Darm stellte die Peristaltik ein und ich musste im Laufe der Nacht all das Leckere und wohl einiges mehr in 3 Anläufen rauskotzen. Und in der Folgenacht noch mal. Ab Tag der Abreise war es damit vorbei. Ich fühle mich so gesund wie vor jenem Tag nach Weihnachten – OK, OK, ich hab seit letztem Frühjahr von dem mehr als 60 Jahre Standard-Gewicht 87 ±2 Kg abgenommen auf 73 Kg. Aber nach der Kotzerei erstmals um 1 Kg zugenommen!

 

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