Selbsterkenntnis und Eigensinn


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8.8 Maske erkennen

8 Wer antwortet?


Die Verleugnung des
Niederen Selbst beim Menschen ist eine mindestens so starke Kraft wie die Verleugnung des Todes. Allzu häufig meinen wir, unser Selbstwert hinge davon ab, 'gut' zu sein - oder mindestens anderen so zu erscheinen - und das Bekennen unserer 'Schlechtigkeit' käme einer Vernichtung gleich. Der Preis des Erkennens und Annehmens der zerstörerischen, dunklen Seite des Selbst erscheint hoch, aber er ist es nicht wirklich. Im Gegensatz dazu ist der Preis des Verleugnens ungeheuer.

In dem Maße, wie das Böse richtig betrachtet wird, in demselben Maße entsteht mehr Selbstakzeptanz, neue Energie fließt, Heilung, mehr Liebe zu sich selbst und Lust. Lust ist expandierende Energie.

Das wichtigste Werkzeug, um die Negativität besser zu vertragen, ist die Entwicklung des mitfühlenden Beobachterselbst, einem Aspekt des
Höheren Selbst. Vier Fragen und eine Umkehrung. So nennen wir die Tatsachen beim Namen. Damit verlagern wir die Identifikation mit dem Benannten zur eigenen Identität des Benenners. Wir werden zum Beobachter und sind nicht mehr das Beobachtete. Wir werden zum Bewußtsein statt zum Inhalt des Bewußtseins. Diese allmähliche Verschiebung der Identifikation hin zu unserer eigenen Identität verankert uns im Höheren Selbst. Die Lichtseele legt eine Sonde an die Dunkelseele.

Eine Lüge macht krank und bringt mich vom Leben weg - bringt mich aus dem Herzen heraus. Die Wahrheit tut das genaue Gegenteil - sie führt mich zum Leben hin und läßt mich mit meinem Fühlen im Herzen. Und das ist genau das, was ich seit Jahren gesucht habe: Mit meinem Herzen zu fühlen und nicht immer den Kopfgeburten hinterher zu rennen. Es wird vielleicht noch ein wenig dauern, aber ich spüre, ich bin auf dem richtigen Weg.

Wir können nur bearbeiten, was völlig bewußt ist. Es geht um diesen Moment des bewußten Innehaltens zwischen Wahrnehmen, Entscheiden, Handeln, um die Umschaltung vom "Hinterhirn" oder "Reptiliengehirn" zu den höheren Stirnlappen und um die Umschaltung von den kontrollierenden Gedanken zum steuernden Denken, um Selbstdisziplin, Selbstbeobachtung und Selbststeuerung. Das lehren die vielen Religionen, leider meistens dick verpackt. Vielleicht ist das der einzige handfeste Grund, den schmalen, spirituellen Weg zu gehen, weil diese Religionen mit Heilsversprechungen locken.

Vor all solchem Heil, was immer das sei, kann das Innehalten mich dazu führen, mein bewußtloses, ständiges, schmerzhaftes Rennen mit dem Kopf gegen Wände zu bemerken: Du solltest .../ ich sollte.../ man muß aber .../ eigentlich wollte ich ... . Um diesen Kampf gegen die Realität zu beenden, reicht mir oft schon die kleine Frage "Will ich Recht haben oder will ich frei sein?" Mag ich meinen Wahrheiten
und meinen Wahnheiten auf die Spur kommen? Was könnte schlimmstenfalls passieren, wenn ich meinen Vorhang beiseite nähme?

Doch meistens schauen wir nur ungern so tief. Wir reagieren auf das
Niedere Selbst gefühlsmäßig, ohne überhaupt darüber nachzudenken. Konfrontiert mit den aus dem Niederen Selbst stammenden Schwierigkeiten, fühlt sich das Unbewußte gezwungen, das Selbstbild zu ändern, um Unerfreulichkeiten oder Nachteile zu vermeiden.

Zu solchen "Unerfreulichkeiten" gehören auch meine "anstrengenden", meine "negativen" Gefühle wie Verwirrung, Ärger, Sorgen, Schmerz, Scham, Schuld, Wut, Angst. Beim liebevollen Untersuchen mit den vier Fragen merke ich schnell, daß Ärger, Sorgen, Wut, Scham, Schuld oft nur Masken von Angst sind. Hier die größte Angst kann ich mir zum Wegweiser, zum Leuchtturm nehmen, der mich sicher und schnell zu einem Zentrum meiner Überzeugungen führt, die ich dann untersuchen kann. Dabei lösen sie sich auf oder ich kann sie als meine Wahrheit akzeptieren.

Das läßt mich auch bald erkennen, daß niemand, der nicht sehr verwirrt ist, einem anderen Menschen etwas antun will. Diese Erfahrung nährt mein Mitgefühl mit mir und mit anderen, vor allen hilft sie mir, mit derart Verwirrten, mir und anderen, unaufgeregter, entspannter, klarer und dadurch weniger gefährlich umzugehen. Ich weiß, es gibt keine andere Wahl: Entweder untersuche ich meine Gedanken oder ich glaube sie. Das ist eine blitzartige Entscheidung in jedem Moment neu - mit grundstürzenden Folgen.

Dann erst, wenn ich Stück für Stück Verwirrung, Schmerz, Wut, Angst, Stolz und Eigensinn ins helle Licht meines Bewußtseins hebe, kann ich sie Stück für Stück annehmen oder loslassen, kann ich sie Stück für Stück der Selbstheilungskraft meines Organismus endgültig übergeben, kann ich sie integrieren aus der Abspaltung, kann Verdrängtes nun offen hin in meiner Ganzheit leben. Die vormals für das Verdrängen aufgewendete Kraft wird frei zur Lust am Leben. Wieder kann ich einen Schritt tun in dem Lernprozeß, für den ich mich diesmal inkarnierte.

Das Tollste ist, auch wenn ich diese Ideen von 'Ganzheit', 'Inkarnation', 'höher', 'nieder', diesen ganzen 'spirituellen Kram' völlig albern fände, die praktischen Wirkungen von Pfadarbeit oder von The Work im Alltag sind trotzdem durchschlagend. Sie führen zu mehr Lebensfreude, mehr Gesundheit, mehr Effektivität, zu befriedigenderen Beziehungen.

Zum Thema Angst sollte ich etwas mehr sagen. Angst ist der einzige echte Feind des Lebens. Nur Angst kann das Leben bezwingen. Angst ist ein kluger, raffinierter Gegner, das weiß ich aus Erfahrung. Sie kennt keine Moral, akzeptiert kein Gesetz und keine Konvention, sie ist unerbittlich. Sie sucht sich bei jedem den schwächsten Punkt, findet ihn ohne Mühe.

Die Angst beginnt ihren Angriff im Kopf, immer. Im einen Moment fühlt man sich noch ruhig, selbstsicher, glücklich. Dann schleicht die Angst sich in den Verstand wie ein Spion, gehüllt in den Mantel des leisen Zweifels. Man begegnet dem Zweifel mit Unglauben, und der Unglauben will ihn verscheuchen. Aber der Unglauben ist ja nur ein armer, schlecht bewaffneter Fußsoldat. In ein paar Zügen hat der Zweifel ihn besiegt. Man spürt eine Beklommenheit. Die Vernunft springt in die Bresche. Man ist beruhigt. Die Vernunft ist schließlich nach den neuesten Erkenntnissen der Waffentechnik gerüstet. Aber zu unserem großen Erstaunen unterliegt, trotz überlegener Taktik und einer Reihe von siegreichen Scharmützeln, auch die Vernunft. Wir spüren, wie wir schwach werden, unsicher. Aus der Beklommenheit wird Angst.

Jetzt nimmt die Angst sich den Körper vor, der längst weiß, daß da etwas nicht stimmt. Längst schon sind die Lungen fortgeflogen wie ein Vogel, die Eingeweide winden sich wie eine Schlange davon. Jetzt läßt sich die Zunge fallen wie ein Igel, und das Kinn galoppiert dazu auf der Stelle. Die Ohren werden taub. Die Muskeln zittern, als hätte man Malaria, und die Knie schlackern, als wären sie auf dem Tanz. Das Herz zieht sich zusammen, dafür weitet der Schließmuskel sich. Und immer so weiter, der ganze Körper. Jeder einzelne Teil versagt, jeder auf die Weise, auf die er es am besten kann. Nur die Augen bleiben aufmerksam. Sie registrieren jeden Schachzug der Angst genau.

Nicht lange, und man macht Fehler. Man läßt seine letzten Verbündeten ziehen: Zuversicht und Vertrauen. Und schon hat man sich selbst besiegt: Die Angst, die doch nichts ist als ein Hirngespinst, triumphiert.

Es ist nicht leicht, diese Dinge in Worte zu fassen. Denn echte Angst, diejenige, die uns bis in die Grundfesten erschüttert, Angst etwa, die wir spüren, wenn wir unvorbereitet dem Tod ins Auge blicken, nistet sich in der Erinnerung ein wie ein Faulbrand: Sie läßt alles verrotten, selbst die Worte, mit denen wir von ihr sprechen. Man muß um diese Worte ringen. Man muß kämpfen und das Krebsgeschwür ins Licht der Worte zerren. Denn wer das nicht tut, wer seine Angst im wortlosen Dunkel läßt, wem es womöglich sogar gelingt, sie zu vergessen, der öffnet sich jedem neuen Angriff der Angst, weil er mit dem Gegner, der ihn beim ersten Mal bezwang, nie wirklich gerungen hat.

Diesen Gegner ins Licht der Worte zerren, da könnten schon die vier Fragen und die Umkehrung reichen, manchmal schon die 1. Frage "ist das wahr?". Denn wenn ich Angst empfinde, dann liegt das für gewöhnlich daran, daß ich mir eine Zukunft vorstelle. Ohne Zukunft kann Angst nicht existieren. Und das ist immer ein Gedanke. Meist, ja eigentlich immer, ist die Wirklichkeit barmherziger als die Gedanken, die man hat. Oder das Ereignis, daß man befürchtet, ist nicht so schlimm wie man es sich ausgemalt hat. Aber solange man es in Gedanken durchspielt, erlebt man auch das Schlimmste, was passieren kann, und alle Gefühle, die damit einhergehen.




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