Selbsterkenntnis und Eigensinn


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5.1 Befriedung

5 Absichten


Ich hörte von Byron Katie, der Entdeckerin von
The Work: "Alles, was du jemand anderem sagst, ist, damit du es hörst. Wer hört nicht zu?"

Ich habe mir früher gewünscht, etwas zu tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, mich zu einem zu machen, der weiß, wie er anderen helfen kann, diesen Kreislauf von kompliziertem Ersatz zu durchbrechen, in dem Menschen ihr Leben leben, ohne Befriedigung, ohne zu bemerken, daß uns unmittelbare Befriedung zur Verfügung steht, wenn wir nur das Zeugs los würden, das wir um uns herum aufgebaut haben, um uns zu schützen und um uns dahinter zu verstecken. Welche Ironie, das sind dieselben Sachen, die uns blockieren, in Zufriedenheit zu leben, in Liebe, in Frieden und all den anderen guten Lebensweisen, die natürlicherweise die unseren sind.

Sicher, auch die Unzufriedenheit ist natürlicherweise Teil unserer Lebensweise. Der Natur geht es um Vielfalt, nicht um Schönheit, gar Bequemlichkeit. Es ist meine Angelegenheit, in welche Richtung ich gehen will. Kann ich wissen, welcher Sinn für mich darin liegt? Könnte es sein, daß mich meine Zufriedenheit träge gemacht hätte, daß ich meine Verstecke nie verlassen hätte, daß mich mein Leiden zu ganz neuen Erfahrungen führt, daß ich meine Wahrheit ohne mein Leid nicht so offen erfahren könnte?

Alan Watts umschreibt das so: Die Fragen nach dem Sinn scheinen die Aufmerksamkeit auf den Geisteszustand zurückzuverweisen, dem die betreffende Frage entspringt, so, als solle damit gesagt werden: "Wenn dich deine Gefühle plagen, dann finde heraus, wer oder was da geplagt wird." Psychologisch geht es also um den Versuch, dem nachzufühlen, was da fühlt, und zu wissen, was da weiß - also sich selbst zum Gegenstand der Frage zu machen. (Vgl. 6.2 Gehirn und Geist)

Wenn die Wurzel des Konflikts ein Mangel an Selbsterkenntnis ist, wie kann ich dann das Selbst erkennen, das versucht, sich selbst zu erkennen? Kurz, die Wurzel des Problems ist die Frage. Stellt man nicht die Frage, so gibt es das Problem gar nicht. Oder anders gesagt: Das Problem, wie man dem Konflikt entkommt, ist gerade der Konflikt, dem man zu entkommen versucht.

Jeder Fortschritt beim Bemühen, unsere Umgebung in den Griff zu bekommen, führt nur dazu, daß sie noch schwerer in den Griff zu kriegen ist. Immerhin scheint dieses ganze Herumdenken in Zirkelschlüssen wenigstens zu zwei ziemlich klaren Schlüssen zu führen. Der erste besteht darin, daß uns nie aufgehen wird, wie hilflos wir sind, wenn wir nicht den Versuch unternehmen, uns selbst zu helfen. Nur indem wir endlos Fragen stellen, erkennen wir deutlich die Grenzen der menschlichen Vernunft und folglich ihre Form selbst. Der zweite besteht darin, daß wir dann mit uns im Frieden sind, wenn wir schließlich die Tiefen unserer Hilflosigkeit erkennen.

Wenn nämlich der tiefste Impuls meines Wesens darin besteht, einem Konflikt zu entrinnen, der im wesentlichen identisch ist mit meinem Wunsch, dem Konflikt zu entkommen, oder mit anderen Worten: Wenn die gesamte Struktur meiner selbst, mein Ich, ein Versuch ist, das Unmögliche zu erreichen, dann bin ich bis in meinen innersten Kern umsonst oder leer. Ich bin lediglich ein Jucken, das nichts hat, was es kratzen kann. Der Versuch zu kratzen, macht das Jucken nur schlimmer, aber ein Jucken ist seiner Definition nach etwas, was gekratzt werden möchte.

Das Zen versucht, den Menschen zu einer intensiven Wahrnehmung dessen zu führen, daß er in einem tückischen Zirkelschluß befangen, völlig hilflos und in einer ausweglosen Lage ist. Er soll erkennen, daß gerade sein Bedürfnis nach Harmonie der Grund seines Konflikts ist, dieses Bedürfnis im Kern seines Wesens, das im Grunde seinen Lebenswillen ausmacht.

Es geht nämlich darum, sich schließlich über jeden Zweifel hinaus darüber Klarheit zu verschaffen, daß bei diesem Jucken gar nicht gekratzt werden kann, und das hat zur Folge, daß das Jucken von allein aufhört. Oder allgemeiner gesprochen: Wenn man erkennt, daß unser Grundbedürfnis ein tückischer Zirkelschluß ist, hört das Herumrennen im Kreis von selbst auf. Der Versuch, selbst etwas machen oder nicht machen zu wollen, setzt natürlich im eigenen Inneren eine Dualität voraus, eine Aufspaltung der Integrität des Geistes, die dazu führt, daß das eigene Handlungsvermögen gelähmt ist. Ein Stück weit bringt folglich die Aussage, alles sei Eines und das Eine sei alles, zum Ausdruck, daß diese innere Aufspaltung überwunden ist und man die ursprüngliche Einheit und Autonomie seines Geistes wiederentdeckt hat.

Wenn man ganz intensiv die Erfahrung macht, in dieser ausweglosen Sackgasse zu stecken, und wenn einem darin unbarmherzig aufgeht, daß das eigene Ich absolut unfähig ist, erkennt man jäh, daß sich dennoch ein ganz wesentlicher Lebensprozeß abspielt. "Ich stehe und ich sitze; ich ziehe mich an und ich esse... Der Wind rauscht in den Bäumen, und in der Ferne hupen Autos." Wenn mein gewöhnliches Selbst auf ein völlig nutzloses Angespanntsein reduziert ist und sonst nichts mehr von ihm übrigbleibt, geht mir plötzlich auf, daß darin mein tatsächliches Tun besteht. An die Stelle dessen, was mein Ich tut, ist ganz und gar das Tätigsein des Lebens selbst getreten, und zwar so, daß die starre Grenze zwischen mir und allem anderen völlig verschwunden ist. Alle irgend möglichen Ereignisse, sei es das Anheben meiner eigenen Hand oder das Zwitschern eines Vogels draußen, erweisen sich als das Sich-Ereignen von shizen (Chinesisch tzu-jan = Spontaneität oder Natürlichkeit) - sie kommen von selbst oder unwillkürlich, im Sinne von spontan statt mechanisch.

Auch das Anheben der Hand, das Denken eines Gedankens oder das Treffen einer Entscheidung ereignen sich auf genau dieselbe Weise. Es wird klar, daß dies tatsächlich die Weise ist, auf die sich schon immer alles ereignet hat, und daß deshalb alle meine Anstrengungen, mich selbst zu bewegen oder im Griff zu behalten, unwichtig sind; ihr einziger Wert besteht darin, eindeutig zu zeigen, daß ich auf diesem Weg nicht weiterkomme.

Folglich liegt der ganze Begriff der Selbstkontrolle schief, denn es ist genauso unmöglich, sich angestrengt um Entspannung zu bemühen oder sich verbissen ein Tun abzuringen, wie man nicht seinen Mund ausschließlich durch den mentalen Willensakt, ihn aufzumachen, aufmachen kann. Man mag seinen Willen noch so sehr anstrengen und sich auf die Vorstellung, ihn aufzumachen, konzentrieren - der Mund wird sich erst bewegen, wenn er sich selbst aufmacht. Aus diesem Gefühl heraus, daß alle Ereignisse sich aus sich selbst heraus ereignen, schrieb der japanische Dichter Ho Koji:

Wunderbare Kraft und staunenswertes Tun -
Wasser holen, Holz hacken und Reis kochen!


Dieser Bewußtseinszustand ist keineswegs psychologisch unmöglich; es gibt ihn sogar als mehr oder weniger andauerndes Grundgefühl. Allerdings scheinen die meisten Menschen ihr ganzes Leben lang fast ununterbrochen mit dem Gefühl zu leben, ihr eigenes Ich und ihre Umwelt seien zwei ganz getrennte Bereiche. Ist man von diesem Gefühl befreit, so gleicht das der Heilung von einer chronischen Krankheit, und daraus ergibt sich ein Gefühl der Leichtigkeit und Gelöstheit, das man mit dem Gefühl vergleichen kann, das man hat, wenn man nach langen Wochen von einem schweren Gipsverband befreit wird.

Hat man erfaßt, daß diese scharfen Trennlinien zwischen Ich und Umwelt sowie willkürlich und unwillkürlich zwar allgemein üblich sind, aber nur innerhalb von begrenzten und ein Stück weit gewillkürten Perspektiven gelten, so stößt man zu einer Art von Erfahrung vor, auf die Formulierungen wie "Eines ist Alles und Alles ist Eines" durchaus passen. Denn mit diesem Eines-Sein ist das Verschwinden einer starren Grenzlinie, eines rigiden Dualismus gemeint. Allerdings handelt es sich hierbei keineswegs um ein universales "Alles ist eins" im Sinn eines Pantheismus oder Monismus, der behauptet, alle sogenannten "Einzeldinge" seien lediglich Scheinformen eines einzigen homogenen "Stoffs". Die Erfahrung der Befreiung vom Dualismus darf nicht so verstanden werden, als lösten sich dabei alle Berge und Bäume, Häuser und Menschen in eine einheitliche Masse aus Licht oder transparenter Leere auf. Aus diesem Grund haben die Zen-Meister immer eingeräumt, der Begriff des "Einen" sei im Grunde irreführend.


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