Selbsterkenntnis und Eigensinn


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11.4 Wellen oder Teilchen

11 Was soll das alles?


"Teilchen-Variante" oder "Wellen-Variante"? Mich als abgetrennt zu verstehen, das hat lange Tradition und ist aktuelle, gesellschaftliche Gewohnheit. Mich verbunden zu fühlen hat zwar viel längere Tradition, aber ist heute unüblich. Eine dieser längeren Traditionen reicht nachweisbar zurück bis in die Steinzeit, bekannt als Schamanismus, auf dem Klang der Trommel reiten in die Welt der Geister
[1]. Etwa 5000 Interessierte weltweit nehmen jährlich an den Seminaren in Core-Schamanismus der Foundation for Shamanic Studies teil. Inzwischen kann man Basis-Kenntnisse von Schamanismus in jeder besseren Volkshochschule[2] an einem Wochenende erlernen - und danach gut allein anwenden zum Kennenlernen der Nichtalltäglichen Wirklichkeiten.

Geistiges Heilen sei Schamanismus und den gäbe es nur in exotischen Ländern, heißt es. Nachdem ich etwas ausführlichere Erfahrungen mit Heilern aller Art machte, stellte ich fest, daß man mit Schamanismus etwas mystifiziert, das jeder Mensch besitzt und was überhaupt nicht exotisch, sondern eine Funktionsweise unseres Gehirns ist. Das Gehirn will und kann nicht unterscheiden zwischen real und fiktiv. Wirklichkeit ist nicht das, was wahr ist, sondern das, was wirkt, und das Fiktive wirkt oft sogar noch stärker als das Reale, wie jeder Theater- und Kinofan weiß.

Schamanen und Heiler sind genauso wenig Scharlatane wie Regisseure und Schauspieler. Wenn es um Heilung geht, versteht es der Schamane als Performancekünstler, seine Klienten mit Zauberei und Entertainment so zu beeindrucken, daß sie echte körperliche Reaktionen zeigen. Er macht sich zu Eigen, daß der Mensch sich letztlich immer selbst heilt. Unter diesem Gesichtspunkt ist alles, auch das, was die Schulmedizin macht, "nur" Stimulus für die Selbstheilungskräfte. Von Clemens Kuby
[3] werden viele Beispiele für erfolgreiche geistige Heilungsprozesse beschrieben.

Natürlich gibt es weder eine Garantie noch eine Krankenversicherung für die Aktivierung der Selbstheilungskräfte, aber es gibt einen Weg dahin. Es ist der Weg zum Geist, zur eigenen Seele, der Ort, wo jede Krankheit und wo jede Heilung beginnt. Um diesen Weg einzuschlagen, müssen wir uns primär als geistiges und nicht als materielles Wesen verstehen. Dieser Umdenkprozeß ist in unserer Kultur das Schwierigste, in der die Kirchen uns, die wir geheilt werden wollen, zum Arzt und nicht zu Gott schicken. Alles, was uns umgibt, verleitet uns zu einem materialistischen Weltbild; mit diesem Weltbild sind wir auf die materiellen Interventionen der Apparatemedizin festgelegt.

Jeder, der den Entschluß faßt, sein Weltbild zu ändern, findet seine Wegweiser. Es gibt nicht
den einen richtigen Weg, jeder folgt seiner Wahrheit. Er darf sie nur nicht zum Dogma machen; das führt zu Intoleranz und Krieg. Die Idee, der Wunsch, die Sehnsucht, das Gebet, das Mantra, die Hinwendung, die Absicht - all das ist unser stärkster Antrieb in diesem lebendigen Universum. Wenn wir damit unser Glück schmieden, formen wir unser Schicksal selbst.

Wenn wir uns mit "Geistern" beschäftigen, müssen wir anfangen, uns Fragen zu stellen. Luisa Francia gibt in ihren Büchern meist einen heiteren und gelassenen Zugang
[4]. Wie real sind Geister oder Geistwesen? Sind wir denn selbst real? Oder stimmt es etwa, daß wir der Traum der Schmetterlingsfrau der Navajo, das Gewebe der Spinnenfrau sind oder das Gespinst der Nornen[5]? Die Buddhisten stellen sich diese Frage ja schon immer und sind zu der interessanten These gekommen, daß in Wirklichkeit nichts existiert. Ist alles Illusion? Wenn jemand depressiv wird, ist die Lösung ja auch ein Medikament, das die betreffende Person wieder auf Normalität trimmt.

Die alten magischen Traditionen wußten um die Zerbrechlichkeit unseres Wirklichkeitsbildes. In allen Kulturen waren Zauberkundige so gesucht wie gefürchtet. Wer in diese Ebenen einzutauchen wagt, ist gefährlich, nicht mehr kontrollierbar. Sie mögen äußerlich gehorchen. Doch die innerliche Automatik zum Gehorsam ist zerbrochen. Man kann solch einer Person keine Angst mehr machen und Angst ist die Grundvoraussetzung für Kontrolle, Machtausübung und Unterdrückung.

Teufelszeug! Was aber, wenn es keinen Teufel gibt, Himmel und Hölle immer hier und jetzt geschaffen werden, und zwar von uns selbst? Von unserer Gier, von unserem Unvermögen, heiter und gelassen zu sein und beherzt im Augenblick zu leben? Nicht nur im Umgang mit Geistern empfiehlt sich die Frage: Wie werde ich heiter, gelassen, mitfühlend und beherzt? C. G. Jung sagte "Himmel und Hölle sind Schicksale der Seele und nicht des zivilen Menschen, der in seiner Blöße und Blödigkeit in einem himmlischen Jerusalem gar nichts mit sich anzufangen wüßte."

Einstein fand heraus: die Zeit ist relativ, sie hängt ab von der (relativen) Geschwindigkeit dessen, der sie mißt. Eine absolute Geschwindigkeit ist undenkbar. Daß die Zeit auch noch von der Gravitation, also der Schwerkraft, beeinflußt wird, macht das Ganze nicht einfacher. In der absoluten Gravitation eines Schwarzen Loches steht die Zeit (relativ) still. Das übersteigt unser alltägliches Vorstellungsvermögen. Meines auch. Dabei wurde die Relativitätstheorie vor einhundert Jahren veröffentlicht! Die Grundlage für unsere heute vorherrschende, unbewußt gewordene naturwissenschaftliche Denkweise beruht aber auf jener Uhrmacher-Physik, die der englische Physiker Newton (*1643, +1727) entscheidend mitgestaltete.

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein schreibt:
"Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt." Wir erleben die Zeit als absolut und haben das Gefühl, wir können dieser unerbittlichen Macht nicht entrinnen. Andererseits haben wir uns diese absolute Zeit erschaffen, weil wir nicht wollen, daß alles in diesem einen Augenblick passiert. Wir wollen die Klänge eines Musikstücks schön hintereinander hören. Viele brauchen die Vergangenheit, um sich in ihr vor der Gegenwart zu verstecken. Andere leben in der Zukunft und bauen ihre Luftschlösser. Vor der Gegenwart fürchten wir uns mehr als vor dem Tod. Man könnte auch sagen, vor der Erleuchtung, in der der Irrtum der Zeit entlarvt wird.

Diese Furcht hat Folgen. Eine davon ist Fundamentalismus. Fundamentalismus bedeutet, daß etwas für absolut gehalten wird. Jeder Anhänger des Absoluten behauptet von sich, die absolute Wahrheit zu besitzen. Und da es nun mal verschiedene solcher Wahrheiten gibt, kämpfen sie gegeneinander. Wir wissen, was die christlichen, islamischen, hinduistischen usw. Wahrheitsbesitzer tun. Es ist längst nicht mehr der Kampf zwischen Arm und Reich, der da tobt. Es ist der Krieg der absoluten Überzeugungen gegeneinander, von Nordirland bis Vietnam. Hitler, Stalin und Pol Pot waren im Besitz je einer "absoluten Wahrheit". Fast alle haben wir innere Überzeugungen, von denen wir nicht lassen - auch wenn wir deshalb anderen nicht gleich die Köpfe einschlagen. Vor allem die ehernen Bilder, die wir von uns selbst haben, führen zu Angst und Leid.

Der Osten ging einen anderen Weg. Unter den Anhängern von Buddhismus, Hinduismus und Taoismus mag es auch Fundamentalisten geben, aber der Kern dieser Weltanschauungen besteht in der mystischen Einsicht, daß alle Phänomene ihre Grundlage in einer einzigen Identität haben. Raum und Zeit, Sein und Nichtsein, Ursache und Wirkung, Wahrheit und Unwahrheit so wie alle anderen Gegensätze sind Illusionen, die unser Geist unter der Hypnose des
"Maya" (Welt des Relativen, der Polarität, des Scheins) produziert. Dieses uralte Wissen wird mehr und mehr durch die moderne Physik bestätigt, auch wenn es den Wissenschaftlern dabei immer wieder mulmig wird und sie sich standhaft weigern, ihre Erkenntnisse aus den Apparaten vom Papier ihrer Forschungsberichte in ihren praktischen Alltag zu übertragen. Die Kosmologen gehen inzwischen in der sogenannten String-Theorie sogar davon aus, daß neben unserer Realität unendlich viele andere existieren. Schamanen kennen einen Teil davon aus eigener Erfahrung und leben das als Alltag.

Wir könnten beginnen, unsere eigenen absoluten und vielgeliebten Überzeugungen zu relativieren. Sie sind genau so relativ wie die Raumzeit und werden - völlig zu recht - von verschiedenen Beobachtern verschieden wahrgenommen. Wir könnten uns selbst mal von außen betrachten und verschiedene Standpunkte einnehmen. Das I Ging, das berühmte philosophische Orakelsystem der Chinesen, sagt, daß Selbsterkenntnis nicht im Schauen auf mich selbst besteht, sondern darin, daß ich die Wirkungen beobachte, die von mir ausgehen. So könnten wir lernen, daß es keine absolute Wahrheit gibt, sondern viele relative. Das hieße aber auch, sichere Gefängnisse zu verlassen. Die absolute Zeit ist unser Trost: etwas, woran wir nicht zu zweifeln brauchen. Die Angst vor Zweifeln aber hält uns in der Dauerstarre. Wir könnten vielleicht sogar beginnen, unsere Zweifel zu lieben. Sie entsprechen der lebendigen Realität besser als alle Dogmen.



  • [1] Foundation for Shamanic Studies: http://www.shamanism.org, für Europa: http://www.muvie.at/fss/start_d.htm
  • [2] Paul Uccusic: "Der Schamane in uns - Schamanismus als neue Selbsterfahrung, Hilfe und Heilung"; Hugendubel/Ariston
  • [3] Clemens Kuby "Unterwegs in die nächste Dimension - Meine Reise zu Heilern und Schamanen"; Kösel, München, 2003
  • [4] Luisa Francia: "Wohnungen der Geister - vom praktischen Umgang mit allem, was man nicht gleich versteht"; München, 2002
  • [5] Tom Graves: "Wyrd POSITIV - So nutzen Sie das Chaos in Ihrem Leben"; Neue Erde Vlg, 1997




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